Small Caps

Klein,aber OHO!

Langfristig schneiden Nebenwerte an der Börse besser ab als Grosskonzerne. Das hat Gründe.

Bertrand Beauté

Die Performance der Börsengiganten wie Apple, Tesla oder Nestlé haben Wirtschaftsjournalisten und Finanzanalysten immer im Blick. Tausende kleinerer Unternehmen, die sogenannten Small Caps oder Nebenwerte (s. Kasten rechts), bekommen dagegen kaum Aufmerksamkeit.

Laut MSCI machen Small Caps 80 Prozent der börsenkotierten Unternehmen aus, aber nur 14 Prozent der Marktkapitalisierung und weniger als 5 Prozent des gesamten Börsenvolumens. Dagegen repräsentieren grosse und sehr grosse Marktkapitalisierungen 6 Prozent der börsenkotierten Unternehmen und sogar 80 Prozent der Kapitalisierung des gesamten Börsenmarktes.

Dabei heisst klein für Anleger keineswegs uninteressant. «Langfristig erzielen Small Caps auf fast allen Aktienmärkten der Welt eine weitaus höhere Rendite als Grosskonzerne», sagt Raphaël Moreau, Fondsmanager des Sextant PME bei Amiral Gestion. «In den vergangenen 20 Jahren haben wir eine enorme Outperformance der kleinen Werte im Vergleich zu den grossen erlebt.»

Ein Trend, der sich auch beim Blick auf die Indizes bestätigt. Der Wert des Schweizer SMI, der die 20 grössten Börsenkonzerne listet, hat sich von 1996 bis 2021 fast versiebenfacht. Ein solides Ergebnis, das allerdings deutlich unter dem der kleinen und mittleren Werte liegt. Denn im gleichen Zeitraum legte der SPI Extra – der Index, der alle Nicht-SMIUnternehmen der Schweizer Börse enthält und damit die Entwicklung der kleinen und mittleren Schweizer Firmen abbildet – um den Faktor zehn zu. In der EU das gleiche Bild, auch da erzielte der MSCI Europe Small Caps in den letzten 20 Jahren einen Nettoertrag von 500 Prozent, während der MSCI Europe Large Caps bei etwa 200 Prozent lag.

Wie lässt sich dieser Unterschied erklären? «Im Wesentlichen handelt es sich bei Nebenwerten um kleine Unternehmen. Und ein Umsatz von wenigen Millionen Dollar lässt sich deutlich einfacher verdoppeln als einer von mehreren Milliarden», so Bart Geukens, Portfolio Manager European Small Caps bei der Vermögensverwaltung DPAM. «Deswegen ist die Wachstumsrate der Small Caps höher als die der Large Caps.» Die Vermögensverwaltung DNCA Investments geht davon aus, dass die kleinen Unternehmen aus dem MSCI Europe Small Cap Index zwischen 2019 und 2021 um durchschnittlich 10 Prozent gewachsen sind, die mittleren und grossen Unternehmen aus dem MSCI Europe Index dagegen nur um 2 Prozent.

 

«Unter den Nebenwerten können echte Dornröschen schlummern»

François Mollat du Jourdin, Präsident und Gründer des Multi-Family Office MJ&Cie

 

Davon abgesehen ist der Gedanke verlockend, dass die von Analysten und Wirtschaftspresse verschmähten Small Caps noch wahre Schätze bereithalten. «Unter den Nebenwerten können echte Dornröschen schlummern», meint auch François Mollat du Jourdin, CEO und Gründer des Multi-Family Office MJ&Cie. «Einige Unternehmen sind unterbewertet, weil sich der Markt trotz ihres Wachstumspotenzials nicht für sie interessiert.» Ein Beispiel: Während mehr als 20 Analysten den Basler Pharmakonzern Roche beobachten, verfolgen nur drei Experten das Lausanner Biotech-Unternehmen AC Immune, das an Mitteln gegen Alzheimer und Parkinson forscht. Durch die mangelnde Aufmerksamkeit ist der Aktienkurs der kleinen Unternehmen dann oft attraktiver als der der Börsenriesen. «Im Kurs-Buchwert-Verhältnis sind die Small Caps im Durchschnitt 20 Prozent günstiger als Large Caps», fügt Raphaël Moreau hinzu.

Aber an der Börse hängt ein gutes Geschäft weniger vom Kaufpreis als vom Wachstumspotenzial ab. «Wer in Small Caps investiert, will das nächste Logitech entdecken», sagt Guillaume Chieusse und schmunzelt. Er leitet den Fonds Oddo BHF Active Small Cap. Und erklärt: «Man sucht ein Unternehmen, das kaum oder gar nicht von Analysten beobachtet wird, das sich geschützt vor ihren Blicken entwickelt und morgen zum internationalen Star-Konzern aufsteigt.»

WIE KLEIN IST KLEIN?

Auch wenn der Anglizismus Small Caps, auf gut Deutsch Nebenwerte, in der Finanzwelt in aller Munde ist, ist nicht ganz klar, was genau damit gemeint ist. «Es gibt keine exakte Definition für den Begriff Small Caps», bestätigt auch François Mollat du Jourdin, CEO und Gründer des Multi-Family Office MJ&Cie. «Alle Finanzakteure machen ihre eigenen Regeln.» In Europa gelten beispielsweise Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von weniger als zwei Mrd. Dollar als Small Caps. Bei einer Bewertung zwischen zwei und zehn Mrd. spricht man von Mid Caps und ab zehn Mrd. aufwärts von Large Caps. Auf einem so riesigen Markt wie den USA funktioniert diese willkürliche Unterteilung nicht. Hier gibt es Bewertungen von mehr als 1 ’000 Mrd. Dollar. Ein Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von zehn Mrd. Dollar kann hier kein Large Cap sein. Laut dem Russell 2000, dem Benchmark-Index in den USA, gelten die 2 ’000 US-Unternehmen mit der niedrigsten Kapitalisierung als Small Caps. Nach dieser Definition lag die mittlere Bewertung der amerikanischen Small Caps im April 2022 bei 3,127 Mrd. Dollar – die höchste bei mehr als 15 Mrd. Aber auch diese Definition eignet sich nicht für alle Länder. Märkte wie die Schweiz haben nicht einmal 2’000 börsennotierte Unternehmen. Ein weiteres Konzept stammt vom Indexanbieter MSCI. Der Vorteil dieses Konzepts liegt darin, dass es überall funktioniert. Es definiert Small Caps als die kleinsten Unternehmen eines Markts, die insgesamt 14 Prozent der Gesamtkapitalisierung ausmachen. Der europäische MSCI Europe Small Cap Index etwa enthält 1’050 Unternehmen mit einer durchschnittlichen Marktkapitalisierung von 1,364 Mrd. Dollar, während der MSCI USA Small Cap Index in den USA 1’933 Unternehmen mit einer durchschnittlichen Kapitalisierung von 2,249 Mrd. Dollar zählt.

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