Interview

«Wir wollen Weltmarktführer werden»

Nyxoah hat sich auf die Behandlung der obstruktiven Schlafapnoe spezialisiert. Das ​ belgische Unternehmen für Medizin-technik schaffte im Juli einen bemerkenswerten Sprung an die Nasdaq. CEO Olivier Taelman erklärt im Interview seine ehrgeizigen Pläne.

Von Bertrand Beauté

Eigentlich ist Nyxoah Vorreiter der «Sleep Tech»-Branche in Europa. Doch 2021 spielt für das Unternehmen die Musik vor allem in den USA: Im Januar wurde das Genio-System zur Behandlung der obstruktiven Schlafapnoe (OSA) erstmals einem Patienten in den USA implantiert. Dieser Eingriff erfolgte im Rahmen einer klinischen Studie («Dream»), die dem Unternehmen die Türen zum US-Markt öffnen soll. Im Februar unterzeichnete Nyxoah eine Vereinbarung mit der Vanderbilt niversity (Tennessee, USA) über die Vergabe einer Exklusivlizenz zur Nutzung ihrer Neurostimulationstechnologie. Und im Juli debütierte das wallonische Start-up an der Nasdaq, dem Referenzmarkt für Technologiewerte, und konnte statt der geplanten 85,1 Mio. satte 97,8 Mio. Dollar einsammeln. Kein Wunder, dass der Terminkalender des CEO von Nyxoah, Olivier Taelman, prall gefüllt ist. Im Interview mit «Swissquote Magazine» erklärt der MedTech-Experte die ehrgeizigen Pläne seines Unternehmens.

 

Warum ist die obstruktive Schlafapnoe (OSA) ein Problem der öffentlichen Gesundheit?

Bei Menschen, die an dieser Störung leiden, werden die oberen Atemwege während des Schlafs ganz oder teilweise blockiert, weil sich die Rachenmuskeln zu stark entspannen. Dies führt zu wiederholten unwillkürlichen Atemaussetzern, die den Schlaf und die Lebensqualität des Patienten beeinträchtigen. Bei diesen Erstickungsanfällen erhält das Gehirn nicht ausreichend Sauerstoff, so- dass das Herz gezwungen ist, mehr Blut zu pumpen. Kurzfristig führt dies zu Schnarchen, chronischer Müdigkeit und Unwohlsein. Längerfristig schädigt die obstruktive Schlafapnoe das Gehirn und das Herz. Diese Patienten haben ein doppelt so hohes Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, als andere Menschen. Und die Wahrscheinlichkeit, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu entwickeln, ist fünfmal höher. Die Behandlung der obstruktiven Schlafapnoe kann daher einen echten Einfluss auf die öffentliche Gesundheit haben.

Wie häufig ist diese Krankheit?

Weltweit leiden mehr als 900 Millionen Menschen im Alter zwischen 30 und 69 Jahren an obstruktiver Schlafapnoe. Aber nicht alle müssen behandelt werden. Bei Menschen, die weniger als 15 Apnoen pro Stunde haben, liegt eine leichte Form vor, die keine medizinische Behandlung erfordert. Dagegen sollten Patienten, die mittelschwere Formen (15 bis 30 Atempausen pro Stunde) oder schwere Formen (über 30 Atempausen pro Stunde) entwickeln, behandelt werden. Das betrifft 400 Millionen Menschen, von denen aber nur 20 Prozent behandelt werden.

 

«Nur 15 Prozent der Patienten erhalten eine richtige Diagnose»

 

Warum ein so geringer Prozentsatz?

Zur Diagnosestellung müssen sich die Patienten in ein spezialisiertes Zentrum begeben und dort eine Nacht verbringen, damit ihr Schlaf untersucht werden kann. Doch nicht jeder hat Zugang zu diesen Einrichtungen, die zudem oft überfüllt sind (in der Schweiz muss man oft mehr als sechs Monate auf einen Termin warten, Anm. d. Red.). Daher wenden sich die Patienten an ihren Hausarzt. Dieser wird verschiedene Symptome wie Schnarchen, chronische Müdigkeit und einen erhöhten Blutdruck feststellen. Er wird jedoch nicht unbedingt einen Zusammenhang mit obstruktiver Schlafapnoe herstellen und eher die Symptome als die Ursache behandeln. Er empfiehlt wegen des Schnarchens eine Änderung der Schlafposition, eine gesündere Lebensweise oder vielleicht sogar blutdrucksenkende Medikamente. Doch damit wird die Ursache des Problems nicht behoben. Nur 15 Prozent der Patienten erhalten eine richtige Diagnose. Wegen unnötiger Tests und Therapien bei dieser medizinischen Irrfahrt entstehen den Gesundheitssystemen enorme Zusatzkosten.

Technologieunternehmen vermarkten vernetzte Verbraucherprodukte wie intelligente Uhren, die den Schlaf analysieren. Und einige Hersteller behaupten, dass ihre Produkte Schlafapnoe erkennen können. Wäre das eine Lösung, um Fehldiagnosen zu vermeiden?

Zahlreiche Unternehmen investieren Geld in den Schlaf, denn das ist ein riesiger Markt. Das Problem ist, dass nur für sehr wenige Verbraucherprodukte wissenschaftlich nachgewiesen wurde, dass sie wirklich Schlafapnoe diagnostizieren können. Die meisten von ihnen wurden in keiner einzigen klinischen Studie geprüft. Die Medizin basiert jedoch auf Fakten, nicht auf Vermutungen oder Marketing-Slogans.

Die beste Möglichkeit, eine Schlafapnoe zu diagnostizieren, besteht heute darin, ein Schlafzentrum aufzusuchen und eine Polysomnographie (PSG) durchführen zu lassen. Abgesehen davon finde ich es sehr positiv, dass sich Technologieunternehmen für den Schlaf interessieren. Sie werden viele Innovationen in diesen Markt bringen.

Die derzeitige Standardbehandlung für Schlafapnoe ist die Verwendung von CPAP-Therapiegeräten (Continuous Positive Airway Pressure). Welchen Sinn hat es, einen neuen Behandlungsansatz wie den von Nyxoah zu entwickeln, wenn CPAP-Geräte gute Ergebnisse liefern?

Bei der CPAP-Behandlung muss die ganze Nacht eine Maske getragen werden. Sie bläst Druckluft in den Mund oder die Nase des Patienten, um die oberen Atemwege offen zu halten und so die Zahl der Atempausen zu verringern. Diese Methode funktioniert sehr gut, ist aber für die Patienten nicht einfach. Das Tragen einer Maske, die über einen Schlauch mit einem Gerät verbunden ist, ist nicht sehr angenehm und schränkt die Bewegungen im Bett ein. Das hat auch Auswirkungen auf die Partner. Das Ergebnis: 50 Prozent der Patienten, die mit CPAP-Geräten behandelt werden, brechen die Behandlung letztendlich ab. Es ist also notwendig, alternative Lösungen anzubieten.

 

«Unser Gerät funktioniert so einfach wie ein Smartphone»

 

Darum haben wir das Genio-System entwickelt, das den Unterzungennerv (Nervus hypoglossus) stimuliert. Konkret handelt es sich um ein Miniaturimplantat, das bei einem chirurgischen Eingriff unter dem Kinn des Patienten eingesetzt wird. Bei Atempausen stimuliert dieses Gerät den Nervus hypoglossus, der die Zunge steuert, und dadurch werden die oberen Atemwege im Schlaf offen gehalten. Klinische Ergebnisse haben die Wirksamkeit unseres Systems gezeigt, das 2019 die CE-Kennzeichnung (Europäische Konformität, Anm.d.Red.) erhielt. Genio wird bereits in Deutschland, der Schweiz und Spanien vermarktet und von den Gesundheitssystemen erstattet. Andere Länder wie Belgien, Frankreich, Grossbritannien und die Niederlande dürften folgen. In den USA haben wir gerade eine klinische Studie begonnen, die bis Ende 2022 abgeschlossen sein soll. Die Vermarktung wird für Mitte 2023 erwartet.

Sie betreten den Markt zu einem Zeitpunkt, zu dem das US-Unternehmen Inspire Medical, Weltmarktführer bei dieser Art von Geräten, bereits seit mehreren Jahren Neurostimulatoren zur Apnoe-Behandlung anbietet…

Wir haben durchaus grossen Respekt vor Inspire Medical. Aber sie sind die Nummer eins in der Welt, weil sie der einzige Anbieter in dieser Nische waren. Heute betreten wir den Markt mit ehrgeizigen Plänen. Wir glauben, dass wir in der Lage sind, sie herauszufordern und eine weltweit führende Position in der Behandlung der obstruktiven Schlafapnoe einzunehmen. Unser System hat mehrere Vorteile im Vergleich zu ihrem, vor allem ist es weniger invasiv. Bei unserer Behandlung ist nur ein einziger Schnitt erforderlich, um das Implantat im Hals des Patienten zu platzieren, beim Inspire-System hingegen sind es drei (an der Hüfte, den Rippen und am Hals), obwohl beide Geräte eine ähnliche Wirksamkeit haben. Darüber hinaus verbleiben die gesamte Genio-Software sowie die Batterie ausserhalb des Patienten. Das bedeutet, dass im Fall einer Softwareaktualisierung oder zum Aufladen des Akkus kein erneuter Eingriff erforderlich ist. In dieser Hinsicht funktioniert unser Gerät so einfach wie ein Smartphone. Diese leichte Implantation und Nutzung ist unser Hauptvorteil gegenüber der Konkurrenz.

Und was ist mit den Kosten für die Krankenkassen?

Die Preise für das Genio- und das Inspire-System sind ähnlich, sie liegen bei rund 20’000 Euro für das Implantat zuzüglich Eingriffskosten. Damit sind diese Systeme in der Anschaffung teurer als CPAP-Geräte, aber nach einer Nutzungsdauer von fünf Jahren liegen die Kosten für die Implantate und die CPAP-Geräte gleich auf. Das Genio-System ist auf eine Betriebsdauer von zehn Jahren ausgelegt, sodass es für die Patienten über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg günstiger ist als CPAP-Geräte.

Sie haben gerade mit der Vanderbilt University eine Vereinbarung über die Vergabe einer Exklusivlizenz zur Nutzung ihrer Neuro-stimulationstechnologie unterzeichnet. Was ist der Unterschied zu Ihrem System?

Die Stimulation des Unterzungennervs funktioniert bei 70 Prozent der Apnoe-Patienten sowohl mit dem System von Inspire als auch mit unserem − bei den restlichen 30 Prozent der Betroffenen allerdings nicht. Die Vanderbilt University hat nun eine Technologie zur Stimulation eines anderen Nervs, des sogenannten Ansa cervicalis, entwickelt. Und die ersten Tests der Wissenschaftler waren sehr ermutigend. Aufgrund der Vereinbarung werden wir diese Technologie nutzen können, um ein neues Implantat für Patienten zu entwickeln, die auf die derzeitige Neurostimulation nicht ansprechen. Diese Vereinbarung eröffnet uns also neue Horizonte und stärkt unsere Entwicklungspipeline.

Obwohl Nyxoah bereits an der Euronext Brüssel kotiert war, haben Sie sich im Juli für einen Gang an die Nasdaq entschieden. Warum diese Doppelkotierung?

An der Nasdaq gibt es mehr Liquidität, und mit dem Börsengang wollten wir institutionelle Anleger in den USA An der Nasdaq gibt es mehr Liquidität, und mit dem Börsengang wollten wir institutionelle Anleger in den USA ansprechen. Die bei unserem Börsengang an der Euronext Brüssel im September 2020 mobilisierten Mittel (85 Mio. Euro) sollten uns bis zur Einführung von Genio auf dem US-Markt reichen. Sie ist für Mitte 2023 geplant. Die 97,8 Mio. Dollar, die wir im Juli an der Nasdaq eingesammelt haben, werden unsere Entwicklung über diesen Zeitraum hinaus sichern. ansprechen. Die bei unserem Börsengang an der Euronext Brüssel im September 2020 mobilisierten Mittel (85 Mio. Euro) sollten uns bis zur Einführung von Genio auf dem US-Markt reichen. Sie ist für Mitte 2023 geplant. Die 97,8 Mio. Dollar, die wir im Juli an der Nasdaq eingesammelt haben, werden unsere Entwicklung über diesen Zeitraum hinaus sichern.

 


 

EIN SPEZIALIST IN SACHEN NEUROSTIMULATION

Olivier Taelman wurde im November 2019 CEO von Nyxoah. Der flämischsprachige Belgier, der 1971 in Sint-Truiden geboren wurde, verfügt über langjährige Erfahrung in der Pharma- und Medizintechnikbranche. Er hat einen MBA-Abschluss der Wharton Business School (University of Pennsylvania) und startete seine Karriere 1996 bei Eli Lilly.

Nach einer Tätigkeit bei Sanofi arbeitete Taelman von 2004 bis 2013 bei Medtronic in Minneapolis, wo er sein Wissen über Neurostimulationsgeräte erweiterte. Die Börsengänge von Nyxoah an die Euronext Brüssel im September 2020 und dann an die Nasdaq im Juli 2021 waren für Olivier Taelman keine Premieren. Als er 2014 die europäischen Aktivitäten des kalifornischen Start-ups Nevro leitete, das auf die Neuromodulation des Rückenmarks spezialisiert ist, trug er zum Börsengang des Unternehmens an die Nasdaq bei. Heute liegt Nevros Börsenwert bei 3,6 Mrd. Dollar. Ein Börsenerfolg, den er mit Nyxoah wiederholen will.

 


 

  • Gründung: 2009
  • Hauptsitz: MONT-SAINT-GUIBERT (BE)
  • Umsatz: EUR 69’000 (2020)
  • Beschäftigte: 100
  • Stock Exchange:

«Für ein kleines Unternehmen mit 100 Mitarbeitern sind wir sehr global aufgestellt», betont der Nyxoah-Chef Olivier Taelman. Die Firma wurde 2009 vom Serienunternehmer Robert Taub gegründet. Nyxoah hat seinen Hauptsitz im belgischen Mont-Saint-Guibert, verfügt aber auch über eine Fer-tigungsstätte in Tel Aviv, Israel, wo ein Grossteil der Forschung und der Entwicklung erfolgt. Das Unternehmen, das auch Teams in Australien, Deutschland und in den Vereinigten Staaten hat, konnte kürzlich den Bau einer zweiten Produktionsstätte in Lüttich abschliessen.

Nyxoah hat ein Miniaturimplantat namens Genio entwickelt, das die oberen Atemwege während des Schlafs mittels Neurostimulation offen hält. Das System, das rund 20’000 Euro pro Patient kostet (zuzüglich Aufwendungen für den Eingriff), soll die mittelschwere bis schwere obstruktive Schlaf-apnoe (OSA) wirksamer bekämpfen. Das Gerät wurde von der Unternehmensberatung Frost & Sullivan mit dem Innovationspreis 2014 ausgezeichnet.

«Dank seiner diskreten Form und der einfachen Implantation hat das Genio-System von Nyxoah das Potenzial, die Behandlung von Schlafapnoe zu revolutionieren», so die Investmentbank Bryan, Garnier & Co in einer Mitteilung. Der potenzielle weltweite Markt für Nyxoah wird auf 400 Millionen Menschen geschätzt, die an mittelschwerer bis schwerer ob-struktiver Schlafapnoe leiden. Die Mehrheit der Analysten empfiehlt den Kauf der Aktie, die derzeit mit rund 26 Euro um fast 50 Prozent über dem Kurs bei der Einführung an der Brüsseler Börse (17 Euro) im September 2020 liegt.