

Interview
Vetropack Fabrik im Bombenhagel
Das ukrainische Werk des Schweizer Glasverpackungsherstellers wurde durch die Kämpfe stark beschädigt. Wir haben darüber mit
Johann Reiter, dem CEO der Gruppe, gesprochen.
Ludovic Chappex
Gostomel. Bis vor wenigen Monaten kannten nur wenige Menschen diese Stadt mit ihren 18’000 Einwohnern in der Oblast Kiew. Dann brach der Krieg aus. Gostomel, ein geostrategischer Zugangspunkt zur Hauptstadt des Landes, der zudem eine Militärbasis beherbergt, war eines der ersten Ziele, als die russischen Streitkräfte am 24. Februar in die Ukraine einmarschierten. Die Zerstörungen waren enorm. Auch das Werk von Vetropack war vom Beschuss betroffen. Hier wurden bis zum Kriegsausbruch Glasverpackungen für die Lebensmittel- und Getränkeindustrie hergestellt. Die Niederlassung ist so stark beschädigt, dass an eine bal-dige Wiederaufnahme der Produktion nicht zu denken ist. Zum Glück hatte das Schweizer Unternehmen sein Werk bereits in den ersten Stunden des Konflikts stillgelegt.
Vielleicht geht die Zerstörung auch für Vetropack noch weiter: Denn die 1911 gegründete Firma besitzt auch eine Produktionsstätte mit 500 Beschäftigten in Chișinău, der Hauptstadt der Republik Moldau. Der östliche Teil des Landes, Transnistrien, ist ein prorussisches Separatisten-gebiet. Sollte sich die Lage auch in dieser Region verschlechtern, so ist Vetropack nach eigenen Angaben bereit, die Produktion einzustellen. Johann Reiter, der CEO des Glasverpackungsherstellers, erklärt, wie es weitergeht.
Wie hat sich die Lage in Ihrem ukrainischen Werk in Gostomel seit dem Bombenangriff am 24. Februar entwickelt?
Das Werk ist immer noch stillgelegt. Es gibt keine Veränderungen, ab-gesehen von der Tatsache, dass die russischen Truppen die Region offiziell verlassen haben. Seit Beginn der Krise ist für uns der wichtigste Aspekt die Sicherheit unserer Mitarbeitenden. Sie steht für uns immer an oberster Stelle. Gott sei Dank konnten wir das Werk vor den Angriffen evakuieren, und zum Glück wurde niemand getötet. Wir stehen täglich in Kontakt mit unserem Management in der Ukraine, das uns über die Situation auf dem Laufen-den hält. Wir können jetzt damit beginnen, das genaue Ausmass der Schäden im Werk zu ermitteln, aber wir stehen erst am Anfang dieses Prozesses.
Wie stark wird Ihr Geschäft durch diese Stilllegung beeinträchtigt?
Die Produktion an diesem Standort macht rund 10 Prozent unseres Umsatzes aus. Der grösste Teil davon ist für den ukrainischen Markt be-stimmt, der Rest für andere europäische Länder.
Haben Sie eine Versicherung, die diese Schäden abdeckt?
Nein, leider nicht. Es gibt keine Versicherung, die Bombenschäden in Kriegszeiten abdeckt.
Könnten Sie angesichts Ihrer Ausnahmesituation finanzielle Unterstützung von staatlicher Seite in der Schweiz erhalten? In der Eurozone wird über Hilfen für die am stärksten betroffenen Unternehmen diskutiert.
Wir pflegen alle möglichen Kontakte in dieser Hinsicht. Es ist jedoch verfrüht, zum jetzigen Zeitpunkt darüber zu sprechen.
Wie reagieren Sie auf die steigenden Energiekosten, die ja Ihre energieintensive Branche stark betreffen?
Das ist in der Tat ein entscheidender Faktor in unserem Sektor, aber auch in der Stahl- und Aluminiumindustrie. Allerdings ist der Preisanstieg nicht nur auf den Konflikt zurück-zuführen, er hat vielmehr bereits im letzten Jahr begonnen. Wir erklären unseren Kunden diese Situation so gut wie möglich und haben unser Modell entsprechend angepasst. Unsere Preise werden jetzt nicht mehr jährlich, sondern vierteljährlich oder monatlich festgelegt, je nach-dem, wie sich die Energiekosten verändern.
Angesichts dieser Situation haben mehrere Finanzanalysten ihr Kursziel für die Vetropack-Aktie deutlich gesenkt. Was ist Ihre Reaktion darauf?
Ich möchte die Analysten und unsere Aktionäre darauf aufmerksam machen, dass wir seit mehr als 110 Jahren in unserer Branche tätig sind, dass wir solide Bilanzen vorweisen können und dass die mittel- bis langfristigen Aussichten für den Glasverpackungsmarkt sehr vielversprechend sind. Es handelt sich um ein umweltfreundliches Material der Zukunft. Im Übrigen besteht unser Ausgangsmaterial zu 55 Prozent aus recyceltem Altglas. Wir konzentrieren uns jetzt voll und ganz auf die Zukunft der Gruppe, wie man beispielsweise an dem Bau eines neuen Werks im italienischen Boffalora sopra Ticino in der Nähe von Mailand sehen kann. Diese Produktionsstätte wird auf dem neuesten Stand sein in Sachen Kreislaufwirtschaft und nachhaltige Unternehmensführung.