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Interview

Beschleunigte Energiewende

Die Rohstoffversorgung Europas wird sich infolge des Ukraine-Kriegs radikal verändern. Interview mit Clive Burstow, Bergbauexperte bei Barings.

Bertrand Beauté

Eine der besorgniserregendsten Folgen des Kriegs in der Ukraine: Die Preise für Rohstoffe steigen rasant in die Höhe – und heizen die ohnehin schon rekordverdächtige Inflation weiter an. Ein Grossteil der Rohstoffe stammt aus Russland. Wir sprachen mit Clive Burstow, Head of Global Resources bei der amerikanischen Investmentgesellschaft Barings, über die weitere Entwicklung.

Der Krieg hat zu einem Anstieg der Energiepreise geführt. Werden Öl und Gas auf Dauer teuer bleiben?

Ja. Man darf nicht vergessen, dass die Energiepreise bereits vor dem Krieg gestiegen waren. So kletterte der Ölpreis 2021 um mehr als  
40 Prozent. Der Grund? Nach der Pandemie führte die wirtschaftliche Erholung zu einer starken Nachfrage, während die Branche auf der Angebotsseite unter chronischer Unterinvestition litt. Anders ausgedrückt: Die Produzenten hatten Mühe, die Nachfrage zu decken, aber eine Steigerung des Volumens erfordert Zeit. Und dann kam in dieser bereits angespannten Situation auch noch der Krieg in der Ukraine hinzu. Diese Tragödie hat gezeigt, wie anfällig  die Energieversorgung ist, und dies nicht nur in Europa, sondern auf  
der ganzen Welt.

Könnte eine Normalisierung der Beziehungen zum Iran und zu Venezuela – zwei Ölförderlän-dern, die von Embargos betroffen sind – Angebot und Nachfrage wieder ins Gleichgewicht bringen?

Beide Länder stossen im aktuellen Kontext auf grosses Interesse, aber die Lage bliebe selbst nach einer Aufhebung der Embargos kompliziert. Venezuela ist aufgrund mangelnder Investitionen in seine Infrastruktur nicht in der Lage, seine Ölförderung zu steigern. Es wird Jahre dauern, bis das Land wieder zu einer nennenswerten Produktion zurückkehrt. Im Iran hingegen sind die Kapazitäten noch intakt und könnten genutzt werden. Das Problem ist geopolitischer Natur. Wie wird Saudi-Arabien reagieren, wenn der Iran seine Produktion erhöht? Was wird passieren, wenn der Iran mit Russland Handel treiben möchte?  

Am 7. April hat die Europäische Union ein Embargo für russische Kohle verhängt, das im August  in Kraft treten wird. Wie ist  diese Sanktion zu interpretieren, während Gas und Öl bisher  nicht betroffen sind?

Die Reaktion der EU auf Russlands Aggression ist eine kurzfristige taktische Änderung, die Teil eines längerfristigen Strukturwandels ist. Wir hatten schon vor dem Krieg begonnen, uns von einem System,  das stark von fossilen Brennstoffen abhängig war, wegzubewegen und uns verstärkt den erneuerbaren Energien zuzuwenden. Aber das ging nur langsam voran. Mit dem Ausbruch  des Kriegs wurde dann die bestehende Ordnung erschüttert: Die europäischen Länder beschlossen, ihre Energiewende gemeinsam zu beschleunigen. Selbst wenn die EU  nicht sofort auf russisches Gas und  Öl verzichten kann, wird sie dies nun schrittweise tun. Das kommende Jahr-zehnt wird faszinierend sein, weil wir eine phänomenale Beschleunigung der Energiewende erleben werden.  Der Krieg in der Ukraine ist in dieser Hinsicht eine treibende Kraft.

Für diese Wende werden jedoch Metalle benötigt, die Russland ebenfalls in grossem Umfang liefert.

Das stimmt. So benötigt beispielsweise ein Offshore-Windpark für  die gleiche erzeugte Energiemenge durchschnittlich fünfmal so viel Stahl wie ein mit fossilen Brennstoffen betriebenes Kraftwerk an Land. Und Russland produziert zahlreiche Metalle wie Aluminium, Palladium oder Nickel. Russisches Palladium wird zum Beispiel benötigt, um die CO2-Emissionen der Autoindustrie zu senken. Der Konflikt wird zu einer weltweiten Neuordnung der Lieferketten führen. Alle Staaten werden versuchen, ihre Bezugsquellen für Metall zu sichern.

Die EU befasst sich sehr intensiv  mit diesem Thema. Sie hat eine Liste kritischer Materialien erstellt, bei denen sie unabhängiger von externen Quellen werden will, und zwar entweder durch grössere Lagerbestände oder durch eigene Produktion. Derzeit hat die EU jedoch nicht die Bergbaukapazitäten, um dieses Ziel zu erreichen. Sie kann zwar Metalle einsparen oder recyceln, um diese Lücke zu schliessen, aber das  wird nicht genügen. Und selbst auf globaler Ebene reicht die Metallproduktion noch nicht aus, um die Energiewende zu sichern. Die Metallpreise müssten noch weiter steigen, um einen Anreiz zu schaffen, die weltweiten Bergbaukapazitäten auszubauen.

 

«Diese Tragödie hat gezeigt, wie anfällig die Energieversorgung ist»

 

Sind Bergbauunternehmen damit eine gute Investition?

Die grossen Produzenten wie die australische BHP oder die britische Anglo American werden von der Energiewende profitieren. Interessant ist, dass der Bergbau im Hinblick auf die ESG-Kriterien lange Zeit schlecht angesehen war, weil es sich um eine kohlenstoffintensive Industrie handelt. Aber heute er-kennen die Anleger allmählich, dass der Rohstoffsektor im Zusammenhang mit dem Klimawandel eher ein Teil der Lösung ist und nicht zu den Problemen zählt. Denn ohne Bergwerke und Metalle kann man keine Windräder oder Sonnenkollektoren bauen, um fossile Energieträger zu ersetzen. 

Laut der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO haben die Weltmarktpreise für Lebensmittel im März ihren Höchststand erreicht, infolge  der kriegsbedingt gestiegenen Getreidepreise. Werden die Preise hoch bleiben?

Es ist klar, dass sich die Menschen ernähren müssen und dass Nahrungsmittel erschwinglich bleiben müssen. Die Staaten haben politisch dafür Sorge zu tragen, dass die Inflation der Nahrungsmittelpreise unter Kontrolle bleibt. Die Agrarindustrie tut alles in ihrer Macht Stehende, um ihre Erträge zu steigern und ihre Beschaffungswege angesichts der Ukraine-Krise anzupassen. Es ist allerdings nicht sicher, ob alle diese Massnahmen ausreichen werden, um die Preise für Lebensmittel kurzfristig zu senken.