Dossier

Profit mit dem blauen Gold

Weltweit steigt die Nachfrage nach Wasser − und das bei gleichzeitig begrenzten Ressourcen. Glänzende Aussichten also für den Wassermarkt. Experten gehen davon aus, dass der mehr als 800 Mrd. Dollar schwere Sektor jährlich um mindestens 6 Prozent wachsen wird.

Von Bertrand Beauté

12. April, 13. Mai oder war es der 15. Juli? Auch wenn das exakte Datum je nach Berechnung variiert, so ist doch eines sicher: Im ersten Halbjahr 2018 kam Kapstadt dem «Day Zero» sehr nahe, dem Tag also, an dem kein Tropfen Wasser mehr aus dem Hahn kommt. Nach drei langen Dürrejahren stand die süd-afrikanische Metropole kurz vor dem Kollaps. Durch drastische Restriktionen – das Wasser wurde seinerzeit auf nur 50 Liter pro Tag und Person begrenzt – konnte der «Tag null» für 4,5 Millionen Stadtbewohner zwar im letzten Moment vermieden werden, aber viel hatte nicht gefehlt.

«Das Beispiel Kapstadt ist geradezu sinnbildlich», sagt Professor Frédéric Lasserre, Spezialist für die Geopolitik des Wassers an der Universität Laval in Quebec. «Diese Megastadt ist geografisch von Wasser umgeben und dennoch herrscht dort Wasserknappheit. Auf globaler Ebene ist es dasselbe: Es gibt eine Menge Wasser in den Ozeanen, aber das nutzbare Süsswasser macht weniger als 1 Prozent der Ressourcen aus.» Dieser globale Vorrat verändert sich nicht, während der Verbrauch rasant ansteigt. Nach Angaben der Water Resource Group 2030 hat sich der weltweite Süsswasserverbrauch seit der Jahrhundertwende 1900 versiebenfacht, was hauptsächlich auf das Bevölkerungswachstum, aber auch auf die wirtschaftliche Entwicklung zurückzuführen ist.

«Der Wasserverbrauch ist eng mit dem Bevölkerungswachstum und dem BIP verbunden», erklärt Xavier Regnard, Analyst bei der Investmentbank Bryan, Garnier & Co. «Wenn eine Gesellschaft die Armut überwindet und zu einem komfortableren Leben übergeht, wird der Lebensstil wasserintensiver. Das heisst, dass zum Beispiel mehr Fleisch oder mehr Fertigprodukte konsumiert werden.» Wasser wird überall gebraucht: Um eine einzige Jeans herzustellen, benötigt man allein 7’000 bis 10’000 Liter Wasser – das entspricht ungefähr 285 Duschen – und zur Erzeugung von einem Kilo Rindfleisch rund 16’000 Liter. In den nächsten Jahrzehnten dürfte der Wasserverbrauch mit einer Rate von 1 Prozent pro Jahr weiter ansteigen und 2050 schliesslich 20 bis 30 Prozent über dem heutigen Niveau liegen. Wenn nichts unternommen wird, werden der Menschheit 2030 rund 40 Prozent des benötigten Wassers fehlen, so der jüngste UN-Wasserbericht, der im März 2021 veröffentlicht wurde.

«Auch die globale Erwärmung wird sich auf die verfügbaren Ressourcen auswirken. Sie führt zu einer Zunahme von Extremereignissen wie Dürren oder auch Überschwemmungen, die die Wasserqualität beeinträchtigen», erklärt Antonio Celeste, Spezialist für ESG-Anlagen bei Lyxor ETF (ESG steht für Environment, Social, Governance). «All dies wird zu einer globalen Wasserkrise führen.» Und diese Krise dürfte besonders Städte wie Kapstadt treffen, Metropolen also, in denen sich die Weltbevölkerung zunehmend konzentriert. Nach einer Studie, die 2018 im «Nature Sustainability Journal» veröffentlicht wurde, könnte so weltweit rund 100 Megastädten bis 2050 das Wasser ausgehen, darunter Los Angeles, Bangalore, São Paulo, Peking oder London. Die Auswirkungen betreffen jedoch die gesamte Weltwirtschaft. Weltweit werden 69 Prozent des entnommenen Süsswassers – in einigen Entwicklungsländern sogar 95 Prozent – für die Landwirtschaft (Ackerbau, Viehzucht und Aquakultur), 19 Prozent für die Industrie und 12 Prozent für Kommunen genutzt.

Dieser sich abzeichnende Wassermangel weckt das Interesse von Tradern, die im «blauen Gold» ein neues Eldorado sehen. Bereits 2011 machte der Ökonom Willem Buiter von sich reden, als er in einem Statement ankündigte, dass der Wassermarkt bald den Ölmarkt übertreffen könnte: «In naher Zukunft erwarte ich massive Investitionen in den Wassersektor (...). Ich sehe Pipelinenetze, deren Kapazität die der heutigen Öl-und Gasnetze übersteigen wird. Ich sehe Flotten von (Einhüllen-)Tankern und Lagereinrichtungen, die diejenigen, die wir derzeit für Öl, Erdgas und LNG haben, in den Schatten stellen werden», schrieb der Top-Analyst von Citi, um anschliessend einen neuen globalen Markt zu skizzieren, auf dem das blaue Gold wie jeder andere Rohstoff gehandelt werden würde.

Rund zehn Jahre nach diesem Statement ist festzustellen, dass einige von Willem Buiters Vorhersagen mittlerweile wahr geworden sind: Im Dezember 2020 haben der Nasdaq und die Chicago Mercantile Exchange, eine der grössten Rohstoffbörsen der Welt, Futures auf kalifornisches Wasser eingeführt, die es grossen kalifornischen Wasserverbrauchern (Kommunen, Industrie, Landwirte), aber auch Investmentfonds, Banken und Hedge-Fonds erlauben, Millionen von Litern zu kaufen und zu verkaufen und damit den Weg für Spekulationen auf den Wasserpreis zu ebnen. Während die Befürworter glauben, dass Wassermärkte einem seltenen, kostbaren Gut auch einen Wert geben können, befürchten viele Kritiker, dass das blaue Gold wie jeder andere Rohstoff gehandelt wird: «Wir können ohne Kupfer oder Öl leben, aber nicht ohne Wasser. Es ist eine lebenswichtige, unersetzliche Ressource», sagt ein Analyst, der die Wassermärkte für gefährlich hält. Die Tatsache, dass ein Markt für Wasser bereits entsteht, sollte jedoch nicht überschätzt werden. «Wir erleben die Finanzialisierung des Wassers», sagt Arnaud Bisschop, Mitgründer und Co-Manager von Thematics Asset Management. «Aber ich denke, dass diese Märkte, ähnlich wie in Kalifornien oder an der Chicago Mercantile Exchange, lokal begrenzt bleiben werden. Es wird keinen globalen Markt für Wasser geben, wie wir ihn für Öl kennen, nicht zuletzt, weil der Transport von Wasser derzeit keinen wirtschaftlichen Sinn macht.»

Obwohl die Möglichkeiten, direkt in Wasser zu investieren, so wie man beispielsweise auch Golderz kauft, begrenzt bleiben, profitiert dennoch eine Vielzahl der im Wassersektor tätigen Unternehmen von der wachsenden Lücke zwischen der Nachfrage nach Süsswasser und dem Angebot.

«Der Wassersektor ist durch die angekündigte Krise zu einer Trendbranche geworden. Und das wird mehrere Jahrzehnte so weitergehen», vermutet Antonio Celeste. «Die in diesem Bereich tätigen Unternehmen werden von der Situation profitieren, denn um Engpässe zu vermeiden, sind massive Investitionen notwendig.» Um den Wasserstress zu reduzieren, investieren Küstenregionen wie beispielsweise Südafrika massiv in die Meerwasserentsalzung und spielen damit den Spezialisten auf diesem Gebiet in die Karten, zu denen beispielsweise das amerikanische Versorgungsunternehmen Essential Utilities und der französische Wasserkonzern Suez gehören.

Für die anderen Regionen muss eine bessere Infrastruktur entwickelt werden. «Und das gilt nicht nur für Entwicklungsländer», präzisiert Arnaud Bisschop. «In westlichen Ländern sind die Leitungen oft marode.» In Städten wie New York, London und Rom betragen die Sickerverluste im Versorgungsnetz mehr als 40 Prozent! Es sind also massive Investitionen notwendig, um Wasser zu sparen. «Die Installation von vernetzten Systemen (Sensoren, intelligente Zähler usw.) ermöglicht es heute, die Netze zu überwachen und Verluste besser zu erkennen», so Arnaud Bisschop weiter. «Anders als vielfach angenommen, ist Wasser ein Sektor, in dem es eine Menge Innovationen gibt.»

EIN STARK DIVERSIFIZIERTER SEKTOR

Was versteht man unter dem Begriff Wassermarkt? Die genauen Konturen dieser Branche sind unklar, aber schematisch lassen sich drei grosse Kategorien von Akteuren unterscheiden: die Unternehmen, die die Infrastrukturen verwalten, diejenigen, die Abwasser behandeln und Verschmutzungskontrollen durchführen, und auch solche, die zu einer effizienteren Wassernutzung beitragen (Anbieter von Sensoren, Wasserspartoiletten, künstlicher Intelligenz usw.).

Insgesamt ist dieser Markt derzeit zwischen 800 und 1’000 Mrd. Dollar wert, je nachdem, wie man ihn eingrenzt. «Seit 2010 hat der Wassermarkt ein schönes Wachstum verzeichnet, das nur, wie auch in weiten Teilen der Wirtschaft, durch die Pandemie unterbrochen wurde. So kam es 2020 zu einem Rückgang um 17,7 Prozent», bemerkt Antonio Celeste, Spezialist für ESG-Anlagen bei Lyxor ETF. «Sobald die Gesundheitskrise vorbei ist, wird das Wachstum wieder bei durchschnittlich 5 bis 6 Prozent liegen.» Das sind interessante Perspektiven für Anleger. In den letzten fünf Jahren, vom 31. März 2016 bis zum 31. März 2021, hat der Lyxor World Water ETF um mehr als 70 Prozent zugelegt. «Das Thema Wasser ist für Investoren besonders interessant, denn es ermöglicht den Auf bau von hoch diversifizierten Portfolios», erklärt Antonio Celeste. Diese Portfolios können sowohl Versorgungsunternehmen als auch TeileLieferanten (Pumpen, Filter, Ventile, Rohre, Membranen) oder Spezialisten für Abwasserreinigung beinhalten.